Ein fast perfekter Mann

Ein Drogendealer, Entführer und vielleicht sogar Mörder. Dies ist der Mann ihrer Freundin - und die hat keine Ahnung. Was würden Sie tun?
Sofia Spatz ist verzweifelt, denn Fortuna meint es so gar nicht gut mit ihr. Die Familie tut alles, um sie in den Wahnsinn zu treiben, der Job bei einer kleinen Zeitung ohne Erfolgschancen hängt plötzlich am seidenen Faden, und ihr Beinahe-Verlobter hat endlich seine Mrs. Right gefunden - und das ist nicht sie! Als dann der attraktive, aber undurchsichtige Adam Silberberg als neuer Chefredakteur in ihr Leben tritt und ihr ganz nebenbei erklärt, dass der Mann ihrer besten Freundin ein gefährlicher Krimineller und sie damit in Lebensgefahr ist, scheint das Chaos perfekt. Nicht nur, dass sich Sofia plötzlich im Dunstkreis zwielichtiger Gesellen wieder findet, sich mit einem ganzen Schlägertrupp auseinandersetzen und sogar das größte Bordell der Stadt besuchen muss - nein, die meiste Zeit weiß sie auch nicht, ob sie ihren unwiderstehlichen Chef lieber küssen oder doch lieber erschlagen will!
...
Wenn man unsere kleine Redaktion betrat, fühlte man sich meistens wie in einer Besenkammer. Überall sammelte sich der Unrat, die Tapete schälte sich langsam aber sicher von den Wänden und die allgegenwärtige Staubschicht wurde nur ab und an von sauberen Stellen unterbrochen, wo die Mitarbeiter ihre Kaffeebecher platzierten. Also, nicht dass hier oft Mitarbeiter wären. Eigentlich waren wir nur zu sechst. Vier Journalistinnen, eine Layouterin und Herr Lindemann. Na ja, und natürlich noch Frau Pummel, Pummelchen, die gute Seele der Redaktion, die dafür sorgte, dass wenigstens ab und an mal Ordnung herrschte.
Wahrscheinlich wäre es zuviel verlangt, zu erwarten, dass mir meine Kollegen der Reihe nach um den Hals fielen. Trotzdem verletzte mich das achtlose Schulterzucken der anderen ein wenig. Nur Pummelchen schenkte mir ein herzliches Willkommenslächeln, in das sie ihren ganzen großmütterlichen Charme steckte. Die drei anderen Zicken zeigten mir die kalte Schulter. Ungehalten rümpfte ich die Nase. Pfff, dann eben nicht.
Doch kaum sah ich mich in unserem kleinen Gemeinschaftsbüro um, entdeckte ich den Grund für das Desinteresse der anderen Kollegen:
In einer der Ecken stand ein Mann, den Rücken mir zugewandt, und studierte die Cover der letzten zwei Ausgaben, welche wir immer ganz stolz an die Wand pinnten.
Ich starrte den Fremden verwundert an. Wir hatten seit Monaten niemanden mehr hier gehabt, der nicht wie ein unterbezahlter, völlig übermüdeter Reporter aussah. Und den Eindruck machte der Kerl dort drüben ja so gar nicht! Wow, schon von hinten sah er überwältigend aus. Der Anzug aus beigen Zwirn schmiegte sich wie eine zweite Haut an seinen stählernen Körper und mir fielen fast die Augen raus, als ich einen Blick auf diesen Knackarsch erhaschte. Auch Biggi grinste fröhlich, gab mir einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter und deutete auf dieses Prachtexemplar eines männlichen Hinterns.
Doch bevor wir uns in irgendeiner Weise vorstellen konnten, betrat Lindemann den Büroraum. Er lächelte uns leicht zu, dann ging er zu Herrn Knackarsch, rückte mit hochrotem Kopf seine Krawatte zurecht und räusperte sich zögernd. Knackarsch drehte sich um und uns alle traf fast der Schlag. Latinlover trifft Superstar, so sah der Kerl aus. Als ich in die Gesichter meiner Kolleginnen blickte, hatten alle denselben gierigen Ausdruck in den Augen. Ich lächelte leise in mich hinein. Fehlte nur noch, dass uns allen die Zunge aus dem Mundwinkel hing, dann würden wir glatt als ausgehungerte Wölfe durchgehen.
Lindemännchen und der Knackarsch verschwanden ins Chefbüro und wir anderen standen blöd in der Gegend herum.
“Wer war das?”, hauchte ich Biggi zu, doch diese zuckte nur unbestimmt mit den Schultern. Stattdessen sagte Frau Huber: “Vielleicht will er ja hier anfangen.”
“Hier?” Frau Schmidt, unsere Beautyqueen, schüttelte fassungslos den Kopf. “Wir haben so schon nichts zu tun. Da brauchen wir nicht auch noch das Latinomodel!”
“Jetzt warte doch erst mal ab.” Biggi setzte sich an ihren Schreibtisch und kritzelte ein paar Entwürfe aufs Papier. “Lindemann kann ihn ja nicht einfach vor die Tür setzen.”
“Klar kann er das!” Die Huber begab sich ebenfalls zu ihrem Schreibtisch. Ich drehte mich zu Biggi und verdrehte die Augen. In gespieltem Erbrechen steckte ich mir den Finger in den Mund und würgte leise. Sie kicherte leicht, wandte sich dann aber wieder ihren Schmierereien zu.
Plötzlich öffnete sich die Tür vom Chefbüro und Lindemann räusperte sich noch einmal. Neugierig sahen wir ihn an. Lindemanns Gesicht färbte sich sofort wieder puterrot, als alle Augen auf ihn gerichtet waren. Ich unterdrückte ein Lachen. Es war jedes Mal richtig niedlich, wenn er sich so genierte.
Er strich sich fahrig über das kurz geschorene, ergraute Haar, holte noch einmal tief Luft und sagte: “Kommen Sie in zehn Minuten bitte mal alle in mein Büro!” Dann wurde die Tür mit einem lauten Knall wieder geschlossen. Ein kollegiales Stöhnen erfüllte den Raum. Mitarbeiterkonferenz, bäh!
“Was glaubst du, was Lindemann von uns will?” Ich sah Biggi an und zuckte mit den Schultern.
“Keine Ahnung. Vielleicht irgendein Wir-haben-einen-Neuzugang-Blabla.”
“Wenn der da ein Neuzugang ist, würde ich ihn gern übernehmen.” Biggi machte eine anstößige Bewegung mit ihren runden Hüften und kringelte sich förmlich vor Lachen, als sie meinen entrückten Gesichtsausdruck sah.
Zusammen stiefelten wir in Lindemanns Büro, gefolgt von Frau Huber, unserer Beautyqueen und Frau Sauerspieß, die ihrem Namen alle Ehre machte und ein Gesicht zog wie sieben Tage Regenwetter.
Der Typ mit dem Knackarsch saß bereits am Konferenztisch und guckte auch nicht gerade erfreut. Im Gegenteil, er musterte die Tischplatte, als würde er einen Kakerlakenfriedhof beobachten. Nun, irgendwie konnte ich ihn ja verstehen. Da kam man frisch von der Uni, träumte von dem großen Durchbruch als erfolgreicher Journalist und landete dann bei uns. Ich setzte mich zwischen Frau Huber und Biggi, legte fachmännisch einen Stift und einen Zettel vor meine Nase und tat so, als hätte ich eine Ahnung, was ich hier sollte. Als sich endlich alle gesetzt hatten, schloss Lindemann die Tür, rückte zum wiederholten Male seine Krawatte zurecht und stellte sich ans Ende des langen Tisches, wo er mit seinen einssechzig fast unterging.
“Liebe Kollegen”, begann er und sofort verstummten alle leisen Debatten über die Frühstückskalorien oder den Spätfilm am Sonntag. So förmlich sprach Lindemännchen nur mit uns, wenn es um etwas wirklich wichtiges ging. Ich sah aus den Augenwinkeln zu dem Kerl im Anzug. Er hatte die Arme verschränkt und sah Lindemann von der Seite an. Dabei spielte ein sarkastisches Lächeln um seine Lippen, das mir einen Schauer über den Rücken trieb.
Lindemann verzog gequält das Gesicht, als ihn schon wieder alle anstarrten, dann fuhr er endlich fort: “Also, ich muss Ihnen eine wichtige Ankündigung machen”, er sah ratlos zu Knackarsch, “ich hätte es Ihnen schon viel früher sagen wollen: Ich werde aufhören.”
Die Stille, die auf seine Worte folgte, war geradezu unheimlich. Fassungslos starrten wir unseren Chef an, einige Münder klappten auf, dann endlich summte das Büro unter dem Geflüster fünf völlig verwirrter Frauen. Biggi sah mich mit großen Augen an, Frau Huber griff unauffällig nach Schmidties Hand.
“Aber…”, begann Frau Sauerspieß langsam, wurde aber von Lindemann unterbrochen. Mit Leidensmiene deutete er auf Knackarsch.
“Herr Silberberg wird meinen Platz hier einnehmen.”
Knackarsch nickte knapp mit dem Kopf. Mehr konnten wir anscheinend nicht erwarten. Wieder starrten wir alle auf Lindemann. Ich hätte sogar schwören können, dass ich Frau Huber schniefen hörte. Doch ich konnte es ihr nachfühlen. Karl-Heinz Lindemann wollte seine Zeitung, seine Sue, aufgeben?
“Ich möchte Sie alle ganz herzlich zu meinem Abschiedsbankett heute Abend im Castello einladen.” Damit ließ er sich schwer auf seinen Stuhl plumpsen, verbarg das blasse Gesicht in seinen Händen und nickte Knackarsch - ach nein, Silberberg - leicht zu.
Dieser erhob sich und baute sich vor uns auf. Wir waren immer noch zu geschockt, um etwas zu sagen, also sprach stattdessen Silberberg: “Schön, dann möchte ich mich erst einmal selbst vorstellen. Mein Name ist Adam Silberberg, ich habe Germanistik und Journalismus studiert und war bereits Chefredakteur der Manuela und der Pretty Girl.”
Sprachlos starrten wir ihn an. Die Manuela und die Pretty Girl waren die größten Zeitungen in der Gegend und hatten Auflagen, von denen wir nur träumen konnten. Was machte dieser Kerl dann bei uns?
Als hätte er unsere stummen Fragen gehört, erklärte Silberberg: “Ich will gar nichts schönreden, was nicht schönzureden ist. Ihre Zeitung ist eine Katastrophe. Eine Lachnummer und ein Ladenhüter.”
Ich schluckte schwer. Natürlich war die Sue keine der großen Frauenzeitschriften, doch es so krass gesagt zu bekommen, war doch ganz schön heftig.
“Ohne jemanden persönlich angreifen zu wollen: Ihre Artikel sind langweilig und sprechen Zielgruppen an, die schon längst unter der Erde weilen. Die Sue sollte eine Zeitung sein, die von jungen Erwachsenen gelesen wird, stattdessen zählt das Seniorenzentrum zu Ihren größten Abnehmern.”
“Und was gedenken Sie dagegen zu tun?”, fragte ich patzig und starrte ihn wütend an. Silberberg wandte sich mit einem gönnerhaften Lächeln in meine Richtung.
“Meine Aufgabe ist es, diese Zeitung wieder auf den Markt zu bringen.”
Aufgeblasener Esel! Was dachte der eigentlich? Dass wir allein zu blöd dazu wären?
“Herr Lindemann hat seine Arbeit bis jetzt doch sehr gut gemacht!” Schnaubend deutete ich auf meinen ehemaligen Chef, doch Silberberg fuhr mir sofort ins Wort: “Es liegt mir fern, die Arbeit meines Vorgängers zu kritisieren.”
“Das tun Sie aber gerade!”
Silberberg verschränkte die Arme vor der Brust. “Nun, wenn ich es nicht tun würde, würde diese Zeitung innerhalb der nächsten vier Wochen den Bach runtergehen.”
Ich knirschte ungehalten mit den Zähnen. Der Kerl übertrieb doch maßlos.
“Und wenn diese Zeitung pleite geht, müssten Sie Ihr Praktikum wohl woanders durchführen.” Er grinste mich überlegen an, als hätte er mir die ultimative Antwort gegeben. Ich sprang von meinem Stuhl hoch.
“Praktikum?”, zischte ich. “Ich arbeite hier!”
Silberberg zog eine Augenbraue in die Höhe. “Haben Sie auch einen Namen?”
“Sofia Spatz”, giftete ich.
“Nun, Frau Spatz, damit Sie weiterhin hier arbeiten können, wurde ich gebeten, mich dieser Zeitung anzunehmen.”
…
Ich war in das Gespräch mit Mirko vertieft, als ich plötzlich Silberbergs Stimme ganz in meiner Nähe hörte.
“Was macht der denn hier?”, knurrte ich wütend und starrte zu meinem Chef, der sein charmantes Lächeln gerade auf eine zierliche Blondine losließ, die gar keine Chance hatte, sich gegen diese entfesselte Naturgewalt zu wehren. Mirko sah es ebenfalls und seine Miene verfinsterte sich sofort. “Du kennst ihn?”, fragte er unruhig, wobei er Silberberg einen hasserfüllten Blick zuwarf. Ich verdrehte nur die Augen.
“Ja, mein Chef.”
Mirko fluchte. “Du arbeitest für den Kerl?”
Ich nickte abwesend. Ich konnte sein Missfallen verstehen. Im Moment hegte ich auch nicht gerade freundschaftliche Gefühle für meinen aufdringlichen Chef. Mirko schüttelte entschieden den Kopf.
“Dann solltest du vorsichtig sein. Der Kerl ist gefährlich.” Bevor ich nachfragen konnte, was er damit meinte, verabschiedete er sich eilig von mir. Ich konnte gar nicht so schnell gucken, wie er sich durch die Massen schob, da war er auch schon verschwunden. Mit frisch entfachtem Zorn blickte ich zu Silberberg. Dieser hatte mich gerade entdeckt und marschierte zielstrebig auf mich zu. Ich überlegte noch, ob ich mich einfach umdrehen und verschwinden könnte, als es auch schon zu spät war. Mit einem anerkennenden Lächeln auf den Lippen stand er plötzlich vor mir und verstellte mir jeden Fluchtweg. In meinem Magen brodelte die Wut. “Sagen Sie mal, verfolgen Sie mich?”, fuhr ich ihn an.
Er grinste zurück. “Sie glauben nicht an Zufälle, was?”
“Nicht, wenn ich Sie sehe”, knurrte ich. Silberberg lächelte, doch plötzlich wurde sein Gesicht ernst. Er sah in die Richtung, in die Mirko verschwunden war und fragte: “Was haben Sie eigentlich mit Mirko Ramirez zu schaffen?” Ich rümpfte ob seiner Neugier die Nase.
“Wir haben uns nur nett unterhalten. Was geht Sie das an?”
Silberberg zuckte mit den Schultern. “Vielleicht wissen Sie es ja noch nicht, aber Ramirez ist kein guter Umgang für Sie.”
Ich stemmte die Hände in die Hüften. “Und warum nicht?”
“Vertrauen Sie mir, Darling. Der Kerl hat seine Finger überall da, wo sie nicht hingehören.”
Zwar hätte ich jeder Klapperschlange eher über den Weg getraut, trotzdem packte mich die Neugier. “Wollen Sie sagen, er ist pervers oder kriminell?”
Silberberg zuckte erneut mit den Schultern. “Sein Vater ist der ansässige Drogenmongul. Da liegt es nahe, dass Ramirez dem Papi nacheifert.”
“Woher wollen Sie das wissen?”, fragte ich fassungslos. Silberberg lächelte geheimnisvoll. “Ich bin Journalist, Darling.”
Das war keine zufrieden stellende Antwort und das wussten wir beide. Silberberg sah sich noch einmal um. “Anscheinend hat Ihr Freund den halben Untergrund heute eingeladen.”
Auch ich schaute die Leute um uns herum genauer an. Sie sahen völlig normal aus. Als ich das auch Silberberg sagte, antwortete er spöttisch: “Was haben Sie erwartet, Spätzchen? Augenklappen und lange Narben?”
Ich schluckte. Ja, so in etwa.
“Aber warum sollte Eddie diese Leute einladen?”
Silberberg bedachte mich mit einem Blick, als wäre ich zurückgeblieben. “Eduardo Ramirez, Darling. Mehr muss ich wohl nicht sagen.” Verschreckt starrte ich zu ihm auf.
“Eddie ist doch nicht kriminell!”, rief ich, was mir sofort die Blicke der Umstehenden einbrachte. Silberberg packte mich schnell am Arm und zerrte mich nach draußen.
“Geheimhaltung ist nicht Ihre Stärke, was, Schätzchen?” Wütend und verängstigt funkelte ich ihn an. Ob ich seine Behauptungen ernst nehmen sollte, wusste ich noch nicht. Das würde ich später entscheiden. Doch erstmal interessierte mich eines: “Was wollen Sie eigentlich hier?”
Er zuckte wieder mit den Schultern. “Ich war neugierig, was Sie in diese Mafiakaschemme treibt.”
“M-Mafia?”, hauchte ich. Silberberg sah sich um.
“Kommen Sie, wir gehen ein Stück. Dann können Sie in Ruhe hyperventilieren.”
“Wir können nicht gehen”, meinte ich schrill, “Biggi ist noch da drin.”
Adam zog mich weiter. “Der passiert nichts. Solange man der Familie Ramirez nicht auf die Zehen tritt, hat man nichts zu befürchten.”
Ich schluckte heftig. “Ich glaube, Eddie mag mich nicht sonderlich.” Ich erzählte Silberberg von der Unterhosen-Geschichte, als ich bei Biggi eingezogen war. Adam lächelte beruhigend auf mich herunter und schlang besitzergreifend einen Arm um meine Schultern.
“Dann sollten Sie mir dankbar sein, dass ich mich gerade zu Ihrem persönlichen Leibwächter ernannt habe.”
Ich sah zu ihm auf. “Und was haben Sie jetzt vor?”
“Der Familie Ramirez ordentlich auf die Zehen treten. Kommen Sie mit! Ich muss Ihnen etwas zeigen.” Ohne zu zögern ging ich mit.
Silberberg führte mich nur ein paar Straßen weiter und ich merkte zu meiner Verblüffung, dass wir gar nicht weit vom Blue entfernt waren. Er schob mich hinein, nickte dem Türsteher leicht zu und eskortierte mich durch den Raum, quer an voll gestopften Tischen und einer viel zu überfüllten Tanzfläche, auf einen Ecktisch im hintersten Winkel der Bar zu. Wir setzten uns und sofort wurde Silberberg von einer eifrigen Kellnerin umschwirrt, die ihn mit den Augen geradezu verschlang. Trotz meiner unterdrückten Panikattacke, spürte ich einen Stich Eifersucht, obwohl ich wusste, dass ich keinerlei Anspruch auf Adam hatte. Er spielte in einer komplett anderen Liga.
Als Silberberg die Kellnerin mit seiner Bestellung wegschickte, wandte er sich wieder mir zu: “Ich habe dir von Klugmann erzählt. Du erinnerst dich?” Ich sah ihn an. Ich wollte nicht, dass er vom Thema ablenkte.
“Was hat der damit zu tun?” Ich runzelte verwirrt die Stirn, als ich Adams ernste Miene sah.
“Mehr als du denkst, Darling. Klugmann hat enge Kontakte zur Unterwelt.”
“Ja, das sagtest du bereits.” Es kam mir albern vor, ihn zu Siezen, wo er das anscheinend schon aufgegeben hatte. Adam nickte wissend.
“Die Unterwelt heißt Ramirez, Spätzchen.”
Ich stockte. “Klugmann und die Familie Ramirez halten zusammen?”
Er sah mich vielsagend an. “Bingo.”
Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Wenn ich daran dachte, dass Biggi gerade in der Nähe eines Kriminellen war, wurde mir schlecht. Aber bis jetzt gab es für Silberbergs Theorie keine Beweise.
“Woher soll ich wissen, dass Eddie wirklich gefährlich ist? Mirko hat dasgleiche immerhin von dir behauptet.” Obwohl ich dachte, Adam würde sofort alles abstreiten, sagte er: “Das kann ich nachvollziehen. Aber um deine Sorgen zu vertreiben…” Er zog etwas aus seiner Tasche und für eine Zehntelsekunde hatte ich die irreale Angst, es wäre eine Waffe. Doch Silberberg legte einen Zeitungsausschnitt auf den Tisch und schob ihn zu mir herüber. Neugierig beugte ich mich über das zerknitterte Papier. Der Artikel wurde letztes Jahr veröffentlicht. Ein Foto zeigte zwei Männer, die mit den Händen versuchten, ihre Gesichter abzuschirmen. Doch ich erkannte sie trotzdem als Mirko und Eddie. Die Bildunterschrift war eindeutig: “Die Vetter Ramirez beim Motorraddiebstahl festgenommen”. Ich schnappte verblüfft nach Luft. Mirko hatte Recht gehabt, er hatte mit Eddie wirklich Motorräder aufgemöbelt, doch mittlerweile bezweifelte ich stark, dass sie seinem Vater gehörten. Ich schluckte.
“Das ist kein Beweis, dass die beiden Kontakte zur Mafia haben”, flüsterte ich laut, um mich über die Musik verständlich zu machen, “das können auch einfach Blöde-Jungen-Streiche sein.”
“Ich dachte mir schon, dass du nicht so einfach zu überzeugen bist.” Adam holte einen weiteren Zeitungsausschnitt aus seiner Tasche. Diesmal war das Papier schon vergilbt. Darauf war ein Mann abgebildet, der auf den ersten Blick an Marlon Brando erinnerte. Ich studierte den Text darunter. Der Mann hieß Bernadetto Ramirez und war das Oberhaupt des Drogenrings, der vor knapp zehn Jahren aufgeflogen war. Damals gab es einen riesigen Medienrummel. Ich schluckte heftiger. Okay, dann war Ramirez eben ein Drogenbaron. Aber vielleicht war Eddie anders. Als ich meiner Hoffnung Ausdruck verlieh, schnalzte Adam missbilligend mit der Zunge. “Bist du wirklich so blauäugig, Spätzchen?”
Nein, das war ich nicht. Ich klammerte mich nur verzweifelt an ein Stück Normalität. “Aber er liebt Biggi.”
“Und das ist ihr verdammtes Glück. Solange die beiden sich gegenseitig anhimmeln, wird ihr nichts passieren.”
Ich nickte kraftlos. Vielleicht hatte er recht. “Und was willst du jetzt tun?”
Er steckte die Artikel wieder ein und sah sich nach der Kellnerin um, die auf unseren Tisch zumarschierte. Sie stellte Adam mit einem schmachtenden Lächeln ein Bier vor die Nase und schob mir widerwillig ein Glas Cola hin. Adam bezahlte für uns beide und drückte ihr noch ein saftiges Trinkgeld in die Hand. Als sie verschwunden war, sagte er: “Klugmann steckt eine Menge Geld in die von Ramirez betriebenen Projekte.”
“Was für Projekte?”, unterbrach ich ihn, obwohl ich bereits eine blasse Ahnung hatte. Ich betete zu Gott, dass sie sich nicht bewahrheiten würde.
“Das volle Programm, Darling. Einführung von Rauschgiften, Zuhälterei. Erpressung, Steuerhinterziehung, Diebstahl und Mord.” Mit großen Augen starrte ich ihn an. “Das klingt wie in einem Krimi.”
“Süße, ein Krimi hat dem wahren Leben eines voraus: er ist nicht real.” Recht hatte er. “Dann sollten wir die Polizei einschalten”, schlug ich vor und wunderte mich, dass Adam noch nicht daran gedacht hatte.
“Die Polizei weiß über alles bescheid, Spätzchen, kann wegen mangelnder Beweislage aber nichts ausrichten. Und da kommen wir ins Spiel.”
“W-Wir? Was zum Teufel haben wir damit zu tun?”
“Wir wollen eine heiße Story für die Sue. Und diese Story ist so heiß, dass sich ein Amateur schnell die Finger verbrennen kann.”
Ich starrte ihn sprachlos an und kämpfte gegen eine Ohnmacht. Er wollte wirklich, dass wir auf Verbrecherjagd gingen?!
…
Santoni grinste, als er mit einer Hand in meine Haare griff und meinen Kopf grob zu sich riss. Ich schrie leise auf und versuchte, sein Handgelenk zu fassen zu bekommen. Doch Santoni lachte nur. Ich sah etwas Metallisches aufblitzen und im nächsten Moment spürte ich etwas Kaltes an meiner Wange. Ängstlich schluchzte ich auf und versteifte mich. Meine Brust hob und senkte sich so rasch, dass ich dachte, jeden Augenblick einfach umkippen zu müssen. Santoni strich mir mit seinem Messer sanft über den Wangenknochen, setzte die Messerspitze an meinen Mundwinkel und fuhr langsam meine Lippen entlang. Zitternd sah ich ihm in die eiskalten Augen.
“Vielleicht bist du heute die Zweite, die ich damit kitzele”, flüsterte er mir zu. Ich würgte leicht.
“Nicht wenn du an deinen Kronjuwelen hängst”, sagte plötzlich Adams Stimme hinter ihm. Er tauchte hinter dem Italiener auf, legte ihm eine Hand auf die Schulter und zog den Mann einfach von mir weg. Ich zitterte immer noch so stark, dass ich keinen Schritt tun konnte. Ich sah nur, wie das Messer von meinem Gesicht verschwand und eine Woge der Erleichterung befiel mich. Befreit heulte ich auf, als meine Beine nachgaben und ich auf dem Asphalt zusammenbrach. Der kühle Boden war ein krasser Gegensatz zu meinem aufgeheizten Gemüt. Ich sah zu Adam und Santoni hinauf. Mein Verlobter hatte dem anderen Mann das Messer abgenommen und durchsuchte ihn gerade nach weiteren Waffen, während er Santoni einen Revolver von hinten zwischen die Beine hielt. Ich schluckte und hoffte für einen Moment, Adam würde einfach abdrücken.
“Hat die Schlampe dich angerufen, bevor sie gestorben ist?”, lachte Santoni bitter. Ich hielt die Luft an und machte mir plötzlich wirklich Sorgen um Giselle.
Adams Stimme war eisig geworden. “Wie lange hast du mit ihr gespielt, bevor du´s endlich hinter dich gebracht hast?”
Santoni lachte auf. “Lange, Silberberg, lange.”
Adam ließ seine Hand hervorschnellen und riss Santonis Kopf in den Nacken. “Widerlicher Abschaum!”
Der Italiener kicherte leise. “Danke für das Kompliment.”
“Du hast sie abgeschlachtet wie ein Tier”, sagte Adam tonlos. Ich hielt mir eine Hand vor den Mund.
Santoni nickte bedächtig. “Abgestochen wie ein Schwein”, bestätigte er so ruhig, als würde er lediglich über das Wetter reden. “Hat sich gewehrt, die fette Nutte. Als ich sie gefickt habe, hat sie gestöhnt”, er lachte auf.
Adam knurrte. “Wo sind die Mädchen?”
“Sie hat die Huren weggeschickt. Wollte unbedingt mit mir allein sein, die dicke Nutte.”
“Sie konnte ja nicht ahnen, dass sie auf ihren Mörder treffen würde.”
Santoni zuckte mit den Schultern. “Sie war ´ne Hure.”
Adams Ellenbogen traf ihn zwischen den Schulterblättern, sodass Santoni genau wie ich auf den Knien landete. Adams Revolver wanderte zum Hinterkopf des Italieners und blieb dort. Santoni senkte den Blick, doch in seinen Augen stand keine Reue, sondern nur blinde Wut.
“Wirst du jetzt auch zum Mörder?”, grinste er breit. Adam sah finster auf ihn herunter.
“Das ist kein Mord”, erklärte er mit Grabesstimme, “das ist eine Exekution.”
Ein Schuss fiel und ich starrte fassungslos auf Santoni. Doch der Mann saß immer noch quicklebendig im Dreck. Ich sah auf. Adam hatte sich herumgedreht und sah in die Dunkelheit, den Revolver immer noch auf Santonis Hinterkopf gerichtet. Ein weiterer Schuss fiel und schlug knapp neben mir auf dem Boden auf. Ich stieß einen Schrei aus, rappelte mich auf und machte einen Satz zur Seite.
“Die schießen auf uns!”, kreischte ich schrill. Santoni lachte leise in sich hinein.
“Glaubst du, ich bin allein gekommen?”, fragte er an Adam gerichtet. Dieser sah ihn verächtlich an. Doch noch bevor er etwas erwidern konnte, kamen die Schüsse wie Donnerschläge hintereinander. Adam sprang von Santoni weg, rollte sich ab und war plötzlich neben mir, geschmeidig wie eine Raubkatze. Er zerrte mich hinter das Auto. Wir wichen mehrern Kugeln aus, die in den BMW einschlugen und tiefe Beulen in das Blech rissen. Adam fluchte hinter mir. Ich blickte ihn über die Schulter an, dann schaute ich zu der Stelle, wo wir Santoni zurückgelassen hatten. Der Mann war verschwunden.
Ein fast perfekter Mann
Net-Verlag
ISBN: 978-3-9422261-6